The Crow

Besondere Geschenke sind nicht auf den ersten Blick besonders

Dominika Pancewicz & Tomasz Pancewicz

6/16/20242 min read

1993, was man heute einen Streetworker-Treffpunkt nennt, war damals ein Jugendcafé. Wir veranstalteten mit ca. 12 Jugendlichen und einem jungen Erwachsenen einen Videoabend. Natürlich musste es ein Film ab 18 Jahren sein. Die meisten von uns waren 12-14 Jahre alt. Ich war 13 und auf den Film gespannt wie ein Flitzebogen. Der junge Erwachsene hatte den Film aus der Videothek organisiert, und wir hofften, dass der Pastor, der die Aufsicht über das Café hatte, nicht herunterkommt und uns erwischt. Der Film lief auf einem 50 cm Röhrenfernseher. Nach 30 Minuten fingen die ersten an, sich zu langweilen. Wir hielten den Film an und diskutierten, dass sie sich gefälligst zusammenreißen sollten, denn andere wollten den Film weitersehen. Mich hatte er in seinen Bann gezogen. Es war die einzige Möglichkeit für mich, den Film zu sehen, denn meine Eltern hätten es nicht erlaubt. Dann haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt, der in Jugendcafés der 90er durchaus gängig war: "Halt die Fresse, oder es gibt auf die Fresse." Und der Film lief weiter. Er war so voller dunkler Szenen, dass der Bildschirm meistens schwarz war. Doch das Gefühl, die Musik, die Gewalt, die Geschichte, die Charaktere, die Liebe – das hat mich so in seinen Bann gezogen, dass es mich für das restliche Leben geprägt hat. Sechs Jahre später liege ich auf meiner Matratze in meiner neuen Einzimmerwohnung. Die Küche besteht aus einer Spüle, das Wohnzimmer aus meiner Matratze und ein paar alten Möbeln vom Sperrmüll. Es ist besser als vorher, ohne eigenen Schlafplatz. Es war Dezember und damit der letzte Monat meines Wehrdienstes. Keine Ahnung, wie ich ab Januar die Miete aufbringen werde. Der Boden ist unbequem, aber vielleicht kann ich bald ein Bett auftreiben. Morgen habe ich meinen 19. Geburtstag. Zwar habe ich Freunde eingeladen, aber alle wissen, dass wir bescheiden feiern werden. Ich kann mir vorstellen, dass meine Freunde mir etwas für meine neue, erste Wohnung schenken werden. Besteck, Teller, eine Lampe oder Tapeten. Essenzielles halt. Am nächsten Tag sind sie da. Als sich Alle versammelt haben, übergeben sie mir das Geschenk, für das sie zusammengelegt haben. Eine große Figur aus meinem Lieblingsfilm. Ich könnte nichts weniger gebrauchen, doch natürlich freue ich mich nach außen hin. Ich könnte die Figur nicht einmal verkaufen. Ein paar Minuten später bekommt die Figur einen Platz auf einem Regal. Egal, was ich von da an erlebt habe – die Gefühle, die Musik, die Gewalt, die Geschichten, die Charaktere, die Lieben – die Figur stand immer da. 22 Jahre später bin ich weit weg von der Obdachlosigkeit. Einige Freunde sind immer noch da. Ich habe eine Familie und bereits das zweite Haus. Mein Beruf ist voller Verantwortung, und ich spiele in der Kulturlandschaft unserer Stadt eine bedeutende Rolle. In meinem Rückzugszimmer steht die Figur immer noch auf einem besonderen Platz. Seit meinem erwachsenen Werdegang hat mich dieser Gegenstand so lange begleitet und mich immer an meinen Lieblingsfilm erinnert, den ich mit 13 Jahren zum ersten Mal gesehen habe. Manchmal fühle ich mich wie der Hauptcharakter des Films, wenn ich durch den Regen gehe und das Gefühl habe, unbezwingbar zu sein. Dann kommt die Fantasie des Jungen wieder, und ich bin Eric Draven.

Tomasz Pancewicz Juni 2024

The Crow, Nassplatte, Mai 2024